Das Berufsbild


Der Vollzug der Frei­heits­strafe dient dem Ziel, Gefangene zu befähigen, künftig in sozialer Verant­wortung ein Leben ohne Straf­taten zu führen (§ 1 Straf­voll­zugs­gesetz NRW). Alle Mit­arbeiter im Justiz­voll­zug tragen somit zur Reso­ziali­sa­tion der Gefangenen bei. So auch Lehrerinnen und Lehrer im Justiz­voll­zug. Sie leisten mit ihrer Arbeit ein um­fassen­des Bildungs­management.

Knastlehrer – Lebenslänglich hinter Gittern

Beatrix Springer

von Beatrix Springer
Studien­rätin am Abend­gymna­sium der Stadt Köln, Koordina­torin der Außen­stelle des Abend­gymnasiums an der JVA Köln

Lehrerinnen und Lehrern im Justiz­voll­zug kommt vor dem Hinter­grund ihres komplexen Betä­tigungs­felds eine große Bedeutung zu: Sie organi­sieren Bildungs- und Quali­fi­zierungs­maß­nahmen, sie unter­richten und betreuen Gefangene mit brüchigen Schul- und Lebens­bio­graien, sie nehmen weitere Auf­gaben im Justiz­voll­zug wahr, beispiels­weise die Betreuung der Gefangenen­biblio­thek und die Fort­bildung der Voll­zugs­beamten. Ihre Arbeit ist ein­gebettet in ein stark reglemen­tiertes, sicher­heits­bezogenes System. Durch die Bundes­arbeits­gemein­schaft für Lehrer im Justiz­voll­zug (BAG) erhalten die Lehrer wichtige Unter­stüt­zung.

Den „Ober­lehrer“ und die „Ober­lehrerin“ gibt es noch – und sie haben so gar nichts gemein mit der Kari­katur des pedanti­schen Besser­wissers bei Wilhelm Busch. Sie arbeiten im Gefäng­nis. Es handelt sich – zumin­dest in den meisten Bundes­ländern – um die oizielle Berufs­bezeich­nung einer Lehr­kraft des pädago­gischen Dienstes an einer Ein­rich­tung des Justiz­voll­zugs.

Hohe Anforderungen an die Lehrkräfte

Es gibt keine genauen Statis­tiken über Lehr­kräfte des pädago­gischen Dienstes. Klaus Vogel, Vorsit­zender der BAG, schätzt die aktuelle Zahl auf rund 450 (Telefon­gespräch am 17.05.2017). In der Regel qualifi­ziert ein Lehr­amts­studien­gang plus Referen­dariat für die Tätig­keit hinter Gittern. Die Ein­stellung erfolgt normaler­weise in der Besol­dungs­stufe A13. Die Ein­stellung in den Justiz­voll­zugs­dienst ist – je nach Bundes­land – mit verschie­denen Lehr­amts­studien­gängen möglich: Lehr­amt an Grund- und Haupt­schulen, Leh­ramt an Real­schulen, Lehr­amt an Gymna­sien, Leh­ramt für Sonder­pädago­gik und Lehr­amt an berufs­bil­den­den Schulen.

Lehre­rinnen und Lehrer, die sich für diese Tätig­keit interes­sieren, sollten die Bereit­schaft haben, sich in ein fach­fremdes Gebiet ein­zu­ar­beiten und in einem inter­diszip­linären Team zu arbeiten: Sie stehen im Aus­tausch mit den Mit­arbeitern des Allge­meinen Voll­zugs­dienstes sowie den Fach­diensten, zum Beispiel dem psycho­lo­gi­schen Dienst und dem Sozial­dienst. Der Umgang mit oftmals schwieriger Klientel erfordert eine hohe psychi­sche Belast­barkeit, Konlikt­fähigkeit, Ein­fühlungs­vermögen und Ver­ant­wortungs­bewusst­sein.

Aufgrund der sich verändern­den Gefangenen­popu­lation (vgl. Vogel 2014, S. 17) spielen inter­kulturelle Kompeten­zen eine immer größere Rolle. Weitere Anforderun­gen, die sich bei Stellen­aus­schreibun­gen inden, sind sicheres Auf­treten, Aus­geglichen­heit und Rollen­klarheit.


Goethe hinter Gittern

Während beispiels­weise 1961 der Auf­gaben­bereich der Lehr­kraft in der Dienst- und Justiz­voll­zugs­ordnung (JVA Moabit/Berlin) schwer­punkt­mäßig noch im Bereich der Plege der Gefangenen­bücherei, der Freizeit­gestaltung und in der Plege der Musik und des Chor­gesangs angesie­delt war (vgl. Vogel 2014, S. 41), haben heutige Ober­lehrer ein weitaus umfassen­deres Tätigkeits­feld, mit speziellen Angeboten je nach Aus­richtung der einzelnen An­stalt: Sie arbeiten im Erwachsenen- oder Jugend­straf­voll­zug, leiten unter­schied­liche schulische oder beruliche Quali­fi­zierungs­maßnahmen oder geben Fach­kurse (zum Beispiel Computer­kurse).

Ein weiteres wichtiges Tätig­keits­feld für Lehrer im Justiz­voll­zug umfasst justiz­voll­zugs­spezi­fi­sche Auf­gaben, beispiels­weise die Mit­arbeit bei der Aus­wahl und Aus­bildung des Voll­zugs­per­sonals.


Aufgabenfelder der Lehrkräfte im Justizvollzug

Hilfe durch die BAG

In der Bundes­arbeits­gemein­schaft für Lehrer im Justiz­voll­zug (BAG) sind die im oder für den Justiz­voll­zug tätigen Lehrer, Diplom­päda­gogen und die an diesem Berufs­feld orien­tierten Hoch­schul­lehrer orga­nisiert. Gegründet wurde die BAG 1958 von 19 Ober­lehrern. Zum Gründungs­zeitpunkt gab es nur 78(!) haupt­amt­liche Lehr­kräfte im Justiz­voll­zug in Deutsch­land. Von den rund 450 Lehr­kräf­ten heute ist etwa die Hälfte Mit­glied der BAG.
Ein Anlass für die Grü­ndung der BAG war der Wunsch nach Gedan­ken- und Erfa­hrungs­aus­tausch und – dies trift auch heute noch fast un­ver­min­dert zu – der Um­gang mit den zahl­reichen Heraus­forde­rungen des Arbeits­felds Justiz­voll­zug. Ein weiterer Grund waren die anfangs mangel­haften Rahmen­bedin­gun­gen, die die Lehr­kraft im Justiz­voll­zug antraf (vgl. Vogel o.D.).

Herbert Hilkenbach (1998), eines der Grün­dungs­mit­glieder, erin­nert sich an seine Tätig­keit im Jugend­voll­zug im Jahre 1957: „So wur­de mir […] die Be­treuung einer Erziehungs­gruppe über­tragen, in der Stärke von 150 Gefan­genen, und samstags hatte ich sechs Stu­den Unter­richt zu ertei­len. Die Teil­nahme war im Übrigen Plicht, und es erfolgte keine Auf­gliede­rung nach Alter, Wissens­stand oder Schul­ab­schluss. Die Klassen­stärke bewegte sich um 40 Gefan­gene. Der Klassen­raum, eine große Gemein­schafts­zelle, die zeit­weilig auch mit Gefan­genen belegt war, wurde jeden Sams­tag aus­geräumt. Eine Tafel auf drei Beinen wurde hinein­gestellt. Die Gefan­genen rück­ten mit ihren Hockern aus der Zelle an. Tische gab es nicht. […] Außer einigen ver­alteten Land­karten gab es keinerlei Lehr- oder Lern­mittel. Eine ein­wöchige Infor­ma­tion durch einen Ver­waltungs­inspektor […] über die Orga­nisa­tion der An­stalt und ins­beson­dere über die Auf­gaben eines Erziehungs­gruppen­leiters war die gesamte Ein­weisung.“

Tagungen und Seminare

Die BAG führt jedes Jahr eine Bundes­arbeits­tagung durch. Diese indet jeweils in einem anderen Bundes­land statt. Zwischen 80 und 100 Interes­sierte neh­men all­jähr­lich daran teil.
Die letzte Bundes­arbeits­tagung fand vom 22. bis 24. Mai 2017 in Bremen zum Thema „Bil­dung in ver­un­sichern­den Zei­ten“ statt (vgl. das Prog­ramm der 60. BAT in Bremen). Unter anderem standen Fragen nach der Zu­kunft der Pädago­gik im Justiz­voll­zug und nach der (Weiter-)Ent­wick­lung der BAG auf der Tages­ord­nung.
Weiterhin organisiert die BAG Fach­tagun­gen zu aktuellen Themen, bei­spiels­weise zum Jugend­voll­zug oder IT-gestütztem Unter­richt.
Für neu eingestellte Lehr­kräfte im Justiz­voll­zug gibt es jähr­lich ein mehr­tätiges Grund­seminar. Auch wenn jede An­stalt unter­schied­lich aus­gerich­tet ist, können die dort vermit­tel­ten all­gemei­nen Kenntnisse über das Arbeits­feld Justiz­voll­zug – insbeson­dere in Hin­blick auf die von Sicher­heit und Ord­nung geprägten Rahmen­bedingun­gen – den Berufs­ein­stieg deut­lich erleichtern.

EPEA: Gefängnis­päda­gogen europa­weit

Auf europä­ischer Ebene fördert die European Prison Education Association (EPEA) die Bildungs­arbeit im Straf­voll­zug. Bei der EPEA handelt es sich um eine europä­ische Nicht­regierungs­orga­nisa­tion, in der dem Straf­voll­zug ver­bun­dene Men­schen ver­schiede­ner Berufs­gruppen zusammen­geschlossen sind, darunter Lehrer, Erzieher, Wissen­schaftler, Poli­tiker sowie Per­sonen aus der Justiz­ver­waltung.


1991 wurde EPEA von einer kleinen Gruppe von Päda­gogen im Straf­voll­zug gegründet. Mittler­weile hat sie in 50 Ländern Europas Mit­glieder. Ihre Ziele gelten – nach wie vor – der För­derung der Bil­dung im Gefäng­nis (gemäß der Emp­fehlung der Minister­komitees an die Mit­glied­staaten des Europarates 1989), der profes­sione­llen Weiter­bildung der Bildungs­ver­ant­wort­lichen im Voll­zug europa­weit, der Zusammen­arbeit mit anderen Organisa­tionen sowie der Förderung der For­schung im voll­zuglichen Bildungs­bereich (vgl. Franke 2015, S. 251).

Alle zwei Jahre orga­nisiert die EPEA eine inter­nationa­le Fach­konfe­renz mit Vorträgen, Work­shops, Projekt­vor­stellungen und Gefängnis­besuchen.


(Fast) normales Schulleben?

Vieles ist gleich, aber vieles ist auch anders: Während des Unter­richts beindet sich in der Regel kein Voll­zugs­beamter mit im Unterrichts­raum. Viele Lehr­kräfte tragen ein Personen-Notsignal-Gerät (PNG) mit Funk­kontakt, sodass jeder­zeit ein Voll­zugs­beamter erreich­bar ist.

Vorrangige Termine der Gefan­ge­nen, wie Ge­richts­termine oder Anwalts­besuche, können zeit­weise die kontinu­ierliche Teil­nahme am Unterricht er­schwe­ren. Weiter­hin kann es auf­grund anstalts­in­terner Vor­gänge (zum Beispiel Flur­sperrung) zu Ver­zöge­run­gen der Tages­abläufe kommen.

Normaler­weise wird beim Unter­richt hinter Git­tern nach weib­lichen und männlichen Gefan­genen diferen­ziert.

Annäherungen an ein „norma­les“ Schul­leben sind hinter Git­tern bedingt mög­lich, zum Beispiel in Form von Projekt­tagen oder Ab­schluss­feiern. Statt Exkur­sionen an­zu­bieten, können externe Experten zu Ver­anstaltun­gen in die JVA ein­ge­laden werden. Die Inter­net­recherche (beispiels­weise für Referate) gestal­tet sich vieler­orts schwierig, da für viele Kurse kein Com­puter­raum mit Inter­net­an­bin­dung zur Verfügung steht. Das nicht zu unter­schätzende Sicherheits­risiko steht der gesetz­lichen Verplich­tung, die Haft­bedingun­gen an das extra­murale Leben an­zu­passen (Stich­ort: di­gi­tale Medien­kompe­tenz), gegen­über. Das könnte sich jedoch zukünf­tig ändern: In Berlin (JVA Heidering) startet das Projekt „Re­soziali­sierung durch Digitali­sie­rung“, das einigen Gefan­genen den Zu­gang zu ausge­wählten Online­seiten ermög­lichen soll.

Trotz diverser Ein­schrän­kungen wissen viele Ge­fan­gene das Privileg, die Schule oder Kurse hinter Gittern besuchen zu dürfen, sehr zu schätzen. Ist es doch eine Maß­nahme, die zum einen den tristen Knast­all­tag durch­bricht und gleich­zeitig neue Pers­pektiven für die Zu­kunft aufzeigt. Die „Heraus­forde­rung Schule“ wird häuig beg­leitet von der erst­mali­gen – und nach­haltigen – Erfahrung des Gefühls von Selbst­wirk­sam­keit.